Das Selbst im Spiegel der Technik | Die Technik im Spiegel des Selbst
Internationaler Workshop an der Universität Luxemburg, 14. und 15. Oktober 2024
Organisation: Christoph Purschke (Luxemburg), Ralf Becker (Landau), Simon Kasper (Düsseldorf)
Teilnahme mit Vortrag auf Einladung
Das Programm des Workshops kann hier eingesehen werden: Programm.
Thematischer Rahmen
Die Tagung thematisiert die wechselseitig aufeinander bezogenen Prozesse der Technomorphisierung des Menschen und der Anthopomorphisierung der Technik.
Urheber dieser Gestaltungen ist jeweils der Mensch selbst. Wir sind bekanntlich das Lebewesen, das sich ein Bild von sich selbst macht oder machen kann. Unter welchen historischen, sozialen und technischen Bedingungen Menschen dies tatsächlich tun, ist eine offene, empirische Frage. Außer Frage steht jedoch, dass menschliche Selbstbilder, wo sie zum Ausdruck kommen, so wandelbar sind wie die Bedingungen, unter denen der Mensch lebt. Der Mensch, der sich fragt, was er sei, stellt diese Frage im Bewusstsein seines eigenen Abgesetztseins von etwas, dem er sich gegenüber sieht, das nicht er ist und in Auseinandersetzung mit dem er sein Selbst bildet. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Alten Testament ist dafür ein Beispiel unter vielen.
Der vielleicht bedeutendste jüngere Typus eines Gegenübers, der den neuzeitlichen Menschen für die Selbstbildung herausfordert, ist die Technik. Der neuzeitliche Mensch formt sein Selbstbild am Modell der jeweils das öffentliche Leben, den öffentlichen Diskurs und die wirtschaftlichen Produktionsbedingungen dominierenden technischen Innovationen. So begriff sich der frühneuzeitliche Mensch, zumindest in seinen materiellen Anteilen, als Maschine und imaginierte seine organismischen Funktionen am Modell der zeitgenössischen mechanischen Geräte, durch deren Rohre Flüssigkeiten gepumpt werden und deren Gelenke sich durch Kronradgetriebe bewegen. Später kam der Dampf hinzu. Spätestens mit der Ankunft des Computers in privaten Haushalten haben viele von uns sich selbst gut cartesianisch als Hardware (res extensa) konzipiert, auf der Softwares (res cogitans) laufen. Dass ‘Informationen im Gehirn gespeichert’ werden, ist fester Bestandteil des Sprachgebrauchs von vielen, und dass Bewusstseinsinhalte demnächst in die Cloud hochgeladen werden, scheint vielen möglich. Jüngst werden wir durch die sog. generativen künstlichen Intelligenzen derart herausgefordert, dass wir uns fragen, ob unsere eigenen Fähigkeiten der Hervorbringung von Sprache und anderen symbolischen Formen nicht selbst auf probabilistischen Operationen beruhen. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Tendenz zur Technomorphisierung des menschlichen Selbstbilds durch den Menschen selbst konstatieren. Im aktuellen Hype um KI und ihre ökonomische Valorisierung geht damit eine (symbolische wie praktische) Abwertung originär menschlicher Leistungen gegenüber technisch vermittelten einher.
Die Diagnose der Technomorphisierung menschlicher Selbstbilder bleibt also unvollständig ohne den korrelativen Prozess der Anthropomorphisierung der Technik. Ein kurzer Blick auf aktuelle Sprachgebräuche ergibt, dass Computer als Kombinationen aus Hardware und Software ‘rechnen’, Korrekturen ‘vorschlagen’, Menschen an Termine ’erinnern’ und sich ‘weigern’, Befehle auszuführen; und wenn man Berichten in Presse und Wissenschaft glaubt, dann ‘sprechen’, ‘denken’, ‘antworten’, ’erkennen’, ‘beraten’, ’lügen’ und ‘halluzinieren’ die sog. generativen künstlichen Intelligenzen sogar, und sie tun anscheinend noch vieles mehr, was auch Menschen tun.
Mögliche Leitfragen für Beiträge
Die Tagung thematisiert disziplinär offen solche Fragen, die mit den Prozessen der Technomorphisierung des Menschen und/oder der Anthropomorphisierung der Technik befasst sind. Beispielhaft können dies sein:
- Welche sind die historischen, sozialen, kognitiven, technikbezogenen Bedingungen, unter denen Menschen ihr Bild von sich als Menschen technomorphisieren und unter denen Menschen die Technik als Technik anthropomorphisieren?
- Haben die Quelldomänen, aus denen Menschen schöpfen, um sich ein Bild von sich selbst zu machen, und die Zieldomänen ihrer Anthropomorphisierung eine historische Richtung, ein Telos, folgen sie einem bestimmten Pfad?
- Handelt es sich bei der Technomorphisierung des menschlichen Selbstbildes und der Anthropomorphisierung der Technik um ein dialektisches Verhältnis? Verlaufen sie synchron? Haben sie verschiedene Tempi? Erfolgen sie zeitlich gestaffelt?
- Welche sind die Medien der Techno-/Anthropomorphisierung? Sind diese Prozesse „bloß“ sprachliche oder anderweitig symbolisch vermittelte Metaphern und Vergleiche oder sind ihre symbolischen Vermittlungen auch Ausdruck kognitiver oder affektiver Ähnlichkeits- oder Identitätsannahmen bzw. -wahrnehmungen?
- Wenn keine Identität zwischen dem historisch (jeweiligen) Menschen und der historisch (jeweiligen) Technik angenommen wird, was sind die Kriterien dafür, bestimmte Merkmale und Eigenschaften vom einen auf das andere zu projizieren und bestimmte andere nicht? Werden dabei „hinter“ den Menschenbildern umfassendere metaphysische Sinnsysteme erkennbar?
- Werden, je ähnlicher technische Artefakte (nach bestimmten Kriterien) in ihren Leistungen menschlichen Leistungen werden, auch die Techno-/Anthropomorphisierungen umso vollständiger, restloser, bis hin zur Identifikation? Ist der Begriff des Menschen damit in Auflösung begriffen? Diffundiert der Gegenstand der Anthropologie in den Gegenstandsbereich anderer Disziplinen, und wenn ja, welcher?
- Welche ethischen Fragen sind mit den Prozessen der Techno-/Anthropomorphisierung verbunden, im Allgemeinen und in Bezug auf spezifische historische Konstellationen wie die aktuellen?
- Gibt es normative Ansätze zur Kritik der Techno-/Anthropomorphisierung in ethischer, philosophischer, wissenschaftlicher, theologischer, sprachlicher Hinsicht und wie ist sie jeweils begründet?