Internationaler Workshop in der Villa Vigoni | 29.11–02.12.2023
Gemeinsam mit den Kollegen Harry Lehmann und Till Dembeck vom Institut für Germanistik richtet das CuCo Lab, vertreten durch Christoph Purschke, einen internationalen Workshop in der Villa Vigoni aus. Vom 29.11. bis zum 02.12. 2023 trifft sich eine gemsichte Gruppe aus Teilnehmer:innen aus dem Department for Humanities mit rennomierten internationalen Gästen, um die Unwägbarkeiten der digitalen Transformation zu diskutieren. Im Zentrum des Interesse steht dabei “Das Andere der Zählbarkeit”, also all jene Bereiche von Kultur, die sich nur schwer (oder gar nicht verlustfrei) quantisieren oder digitalisieren lassen. Zu den eingeladenen Gästen gehören unter anderem Simon Kasper (Düsseldorf), Sybille Krämer (Berlin), Dieter Mersch (Zürich) und Ralf Becker (Landau).
Das Andere der Zählbarkeit: Sprache – Kultur – Praxis
Die Operation des (Ab-)Zählens ist so alltäglich und zugleich von so weitreichender Konsequenz für unsere Vorstellung von Wissen, dass es auf Anhieb schwerfällt zu sagen, was das ‘Andere’ der Zählbarkeit überhaupt sein könnte, wobei im Alltagsverständnis von Zählbarkeit in aller Regel Ganzzahligkeit unterstellt wird – bzw. heute in einem erweiterten Sinne: Digitalität. Zwar lassen sich leicht Beispiele finden, die im Alltag entweder keiner Zählung bedürfen (z.B. Atemluft) oder von denen man erwartet, dass sie sich einer Quantifizierung weitgehend entziehen (z.B. Gefühle). Auch diese lassen sich jedoch in zählbare Einheiten überführen (Zählen von Atemzügen in der Mediation; diagnostische Messung des Lungenvolumens; Happiness Index), wobei sich dann aber die Frage stellt, inwiefern sie dabei ihren Charakter verändern bzw. in welches Verhältnis zählbare und ‘andere’ Aspekte ihrer phänomenalen Gestalt eintreten.
Damit angesprochen sind die Abgrenzbarkeit von ‘Einheiten’ aus einer Gesamtheit (z.B. Einzellauten in einer Stimmäußerung), ihre Übertragbarkeit in diskreten, verlustfrei reproduzierbaren Zeichen (z.B. die Repräsentation von Information in Binärcode), aber auch Artefakte und Übertragungsverluste von Digitalisierungsprozessen (z.B. Quantisierungsrauschen und Kompression bei Audiosignalen). Somit lassen sich mehrere Perspektiven auf das Andere der Zählbarkeit werfen: Es kann hier um Phänomene gehen, die sich der Digitalisierung entziehen – weil sie grundsätzlich nicht mit diskreten Zeichensätzen zu erfassen und (ab)zählbar sind. Weiter inte-ressieren Denkfiguren, die Zweiwertigkeit – im Sinne einer Unterscheidung von ‘Einem’ gegenüber einem ‘Anderen’ – prinzipiell in Zweifel ziehen, also jenseits klarer Abgrenzungen und diskreter Kategorien operieren wollen. Daneben sind hiermit aber auch Verfahren aufgerufen, die (Er)Zählbarkeit in Form von Kategorien, Taxonomien oder Theorien methodisch herstellen – sei es als Teil der Alltags-praxis oder zu Zwecken der wissenschaftlichen Erfassung.
Der Workshop zum “Anderen der Zählbarkeit” möchte unterschiedliche Disziplinen miteinander ins Gespräch bringen, um Möglichkeiten eines Denkens diesseits wie jenseits von Digitalität und Zweiwertigkeit auszuloten. Dazu gehört, die gesellschaftliche und wissenschaftspolitische Relevanz von Geistes- und Kulturwissenschaften angesichts eines starken Digitalisierungsdrucks herauszuarbeiten. Ebenso im Fokus stehen formale Zugänge zu Zählbarkeit als kulturellem Ordnungsmuster, etwa die Wissensgeschichte der Ganzzahligkeit oder die theoretisch-methodische Absicherung von Disziplinen über Regime der (Ab)Zählbarkeit. Dabei sollen auch Motive für die umfassende Digitalisierung von Lebenswelten hinterfragt werden, ebenso wie Positionen von Digitalisierungskritik. Nicht zuletzt, weil Zählbarkeit zu den Konstituenzien der Moderne gehört und mit ihr auch große Zukunftsversprechen verbunden wurden (und werden), sind mathematisch inspirierte Gesellschaftsutopien entstanden. So verbindet sich mit der Digitalisierung etwa das Versprechen einer vollständigen Verdatung der Welt, die konzeptuelle Reprä-sentation mittelfristig durch rein statistische Korrelation ersetzt – ein epistemologischer Anspruch, welcher der Suche nach Refugien der Unzählbarkeit politische Dringlichkeit verleiht. Lassen sich das Absolut-Setzen von Zählbarkeit (etwa in den ‘hard sciences’) ebenso wie die verbreitete Ablehnung derselben (etwa in den Geisteswissenschaften) auch als eine (in)direkte Reaktion auf solche Technikutopien verstehen? Und inwiefern beeinflussen diese gegenläufigen Positionen den öffentlichen Diskurs über Nutzen und Gefahren der Digitalisierung?
Der Workshop 2023 ist unter dem Schlagwort “Sprache” einem Fragenspektrum gewidmet, das neben sprachlichen und linguistischen auch analog zu Sprache beschreibbare Ausdrucksformen einschließen soll. Gegenstand der Betrachtung sind also sowohl die sogenannten ’natürlichen’ Sprachen als auch Programmiersprachen, die Mathematik und die Künste.